Die Freizeitmobilität ist gefährdet

Ab Januar zahlt die IV mobilitätsschwachen Behinderten nur noch die Therapie-Fahrkosten. Private Besuche könnten daher für sie unerschwinglich werden.
Wir haben uns vergeblich gewehrt, und jetzt sind die Behinderten mit den happigen Konsequenzen konfrontiert , sagt Mark Zumbühl von der Behindertenorganisation Infirmis. Der Bundesrat habe sich leider mit seiner neuen Verordnung für die Begleichung der individuellen Transportkosten durchgesetzt.

Hilflosenentschädigung reicht nicht

Was ist geschehen? Am 28. Januar hat der Bundesrat beschlossen, der Invalidenversicherung ab Anfang 2005 nur noch die Kosten für die Therapie-Fahrten anspruchsberechtigter Behinderter zu übertragen. Freizeitfahrten seien künftig von den Betroffenen selber zu berappen. Mit der Anfang 2004 eingeführten Verdoppelung der frühen einfachen Hilflosenentschädigung liege dies drin, lautete der Grundtenor auch im Parlament bei der Beratung der 4. IV-Revision.

Laut Hanne Müller vom Behindertenforum Zentralschweiz bringt diese Verordnung aber zwei grosse Probleme mit sich: Erstens ist die Hilflosenentschädigung, die bei einem schweren Behinderungsgrad für Heimbewohner 860 Franken und bei einem Behinderten zu Hause 1720 Franken beträgt, auch für andere Assistenzdienste gedacht. So brauche, wer hilflos sei, in der Regel nicht nur Unterstützung bei der Fortbewegung, sondern auch beim Aufstehen, bei der Körperpflege, beim Essen oder bei der Verrichtung der Notdurft. Zweitens, führt Hanne Müller aus, stiegen durch die reduzierten Subventionen an die Behindertenfahrdienste die allgemeinen Fahrpreise - und zwar massiv . Gehbehinderte mit knappem Budget würden dadurch in ihrer Teilnahme am sozialen Leben eingeschränkt, wenn sie nicht öffentliche Verkehrsmittel benützen oder auf private Chauffeure hoffen könnten. Das ist ein Widerspruch zur Forderung, IV-Rentner müssten besser integriert sein , sagt Müller.

Bald normale Taxipreise?

Ins gleiche Horn bläst auch Mark Zumbühl, Infochef von Pro Infirmis. Das Angebot von günstigen Fahrdiensten für Behinderte sei in der Schweiz durch Organisationen mit Freiwilligenarbeit (Tixi Taxi) oder private Transportunternehmen ohnehin sehr heterogen. Die Fahrpreise erreichten, wenn Kantone und Gemeinden nicht in die Finanzierungslücke einsprängen, wohl bald normale Taxipreise, mutmasst Zumbühl.

Dass dies keine Übertreibung ist, zeigt die gegenwärtige Entwicklung in Luzern. Weil dem Lu-Tixi die Bundessubventionen für Freizeitfahrten zusammengestrichen wurden und die Rollstuhltaxi-Genossenschaft das Geld via Hilflosenentschädigung einfordern muss, kommt es zum Preisanstieg. Eine einfache Fahrt innerhalb von 10 Kilometern kostet eine behinderte Person, die in den eigenen vier Wänden lebt, neu 19 Franken. Zuvor waren es 8 Franken gewesen.

Behinderte wollen sich wehren

Die neuen Tarife sorgen in Behindertenkreisen für grossen Aufruhr. Vom Lu-Tixi wurde die happige Preiserhöhung bisher nicht einmal offen kommuniziert , ärgert sich Hanne Müller vom Behindertenforum Zentralschweiz. Die Basis könne sich daher gar nicht gegen die Preissteigerungen wehren - im Gegensatz zum Kanton Bern beispielsweise.

In der Tat gelten beim Berner Rollstuhlfahrdienst Betaxi zumindest bis Ende März 2005 noch die alten Tarife. Er hat sich eine Gnadenfrist erkämpft, in der er weiterhin den alten 10-Kilometer-Tarif von 9 Franken für IV-Rentner und 12 Franken für AHV-Rentner anwendet. Auch beim Zürcher Tixi-Fahrdienst kommt es 2005 zu keiner Tariferhöhung, obschon knapp eine halbe Million Franken (oder ein Drittel der gesamten Einnahmen) wegfällt. Hier gelten sogar dieselben Tarife wie für den Zonenplan im Zürcher Verkehrsverbund. Der Fahrdienst für Behinderte kann die Ausfälle offenbar mit anderen Finanzmitteln der öffentlichen Hand und von Spendern stopfen.

Pro Infirmis will helfen

Ob dies - ausserhalb der Stadt Luzern - auch in der Zentralschweiz möglich sein wird, steht in den Sternen. Offenbar keinen Grund zur Sorge gibt es bisher in Zug. Auf der Luzerner Landschaft sieht es schon kritischer aus (siehe Kasten).

Härtefälle sind jedoch programmiert, darin sind sich sowohl die Experten vom Bundesamt für Sozialversicherung, die auf die Sozialhilfe verweisen, und die Vertreter der Behindertenorganisationen einig. Pro Infirmis beispielsweise hat sich denn auch vorgenommen, mobilitätsschwachen Menschen möglichst schnell direkte Geldmittel zukommen zu lassen, sofern sie glaubhaft machen können, dass ihre persönliche Mobilität sonst zu sehr eingeschränkt ist. Davon werden aber sicher nicht alle profitieren können: Wir werden auf die schwierige Situation der Betroffenen aufmerksam machen müssen , kündigt Hanne Müller an.

VON ANDREA WILLIMANN in der neuen Luzerner Zeitung vom 20.Dezember 2004