Eltern behinderter Kinder

Maria Weibel-Spirig

Maria Weibel-Spirig

Paar- und Einzelberaterin VEF

Über die Schwierigkeit, dem behinderten Kind und sich selbst gerecht zu werden

Interview mit Frau Maria Weibel-Spirig, Paar- und Einzelberaterin VEF, Stans

BfZs: Welche Themen bringen Eltern mit behinderten Kindern in die Beratung?
Frau Weibel: Häufig sind es Paarprobleme wie bei anderen Paaren. Aber das Leben mit einem behinderten Kind stellt höhere Anforderungen an das Paar.

BfZs: Welche Auswirkungen hat das?
Frau Weibel: Die Pflege des behinderten Kindes kann auch körperlich sehr beanspruchend sein. Hinzu kommen die vielen Termine, die man wegen der Behinderung des Kindes wahrnehmen muss. Schliesslich werden diese Eltern enorm gefordert, wenn sie sich mit einer Lebenssituation ausein-ander setzen müssen, die nicht den üblichen Normen und Werten entspricht. Das alles kann zu physischer oder psychischer Überforderung führen.

BfZs: Inwiefern leidet die Beziehung darunter?
Frau Weibel: Viele Termine für das Kind sind gegeben. Das gibt das Gefühl, sie abzusagen sei unmöglich. Es kommt alles so dringend daher, dass die Beziehung und die eigenen Bedürfnisse zurückgestellt werden. Ich stelle fest, dass Paare oft das Gefühl haben, sich die Zeit für sich selbst gar nicht nehmen zu dürfen. Eher ist dann die Erwartung da, in der Beziehung einfach Erholung und Unterstützung zu erhalten. Das funktioniert aber nicht. Beziehung braucht eben auch Investition.

BfZs: Warum werden die Bedürfnisse des behinderten Kindes als so vordringlich wahrgenommen und behandelt?
Frau Weibel: Dahinter steht beispielsweise die Hoffnung, dass sich die Situation des Kindes durch all den Einsatz verbessert, dass es vielleicht einmal wird gehen können oder anderes.

BfZs: Also befürchten diese Eltern offenbar, sich schuldig u machen an der Behinderung des Kindes, wenn sie mehr für sich selbst schauen?
Frau Weibel: Ja, Eltern wollen ja nichts verpassen oder unter-lassen, was dem Kind gut tut. Es ist natürlich, dass man das Beste will für sein Kind.

BfZs: Kommen auch die anderen Kinder in der Familie dabei zu kurz?
Frau Weibel: Die anderen Kinder tragen meist mit. Und es gibt Kinder, die sich dabei manchmal benachteiligt oder überfordert fühlen. Manche Kinder entwickeln in solchen Konstellationen besondere Fähigkeiten und Stärken. Andere müssen ihre Geschichte als Erwachsene aufarbeiten.
Es gibt solche, die später als Erwachsene auch eher für die anderen schauen und sich damit wieder überfordern.

BfZs: Überforderung heisst doch, dass es so nicht weiter-gehen kann. Es drängt sich eine Veränderung auf. Wie gehen die Paare damit um?
Frau Weibel: Manchmal ist ein Partner weiter als der andere in der Veränderungsvorstellung z.B. von möglicher Entlastung. Aber aus Angst, der andere mache da nicht mit, scheuen sie sich vielleicht, diese Gedanken in die Beziehung einzubringen. Schuldgefühle, z.B. gegenüber dem behinderten Kind, können entlastende Veränderungen erschweren oder verhindern.

BfZs: Also sind nicht nur die unterschiedlichen Lösungs-vorstellungen das Problem, sondern auch die Tatsache, dass gar nicht offen darüber gesprochen wird?
Frau Weibel: Ja, diese Paare leben den Teamgedanken sehr stark. Sie tragen ihr Schicksal gemeinsam. Aber es gibt nicht nur das Team. Jeder Partner ist ein Individuum mit eigenen Bedürfnissen. Und manchmal werden eigene Wünsche eben als Verrat an der gemeinsamen Sache erlebt. Ich erlebe in meiner Praxis Paare, die enorm hohe ethische Ansprüche an sich selbst stellen.

BfZs: Gibt es auch moralische Tabus, die es diesen Eltern schwer machen, zu dem zu stehen, wie sie wirklich denken und fühlen?
Frau Weibel: Ja, es gibt eine Art Aggressionsstau. Man schont das Kind, weil es bei einem behinderten Kind noch schwieriger ist, Grenzen zu setzen. Die Auswirkungen auf das Kind sind eben direkter. So können sich ungute Gefühle über Jahre stauen und manchmal werden sie dann beim Partner abgeladen, weil man den nicht so schützen muss. Es ist eine hohe Kunst, diese schwierige Aufgabe gemeinsam zu tragen und zugleich sich Sorge zu geben und miteinander offen zu sein.
BfZs: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Interview:
Daniel Stirnimann / Thomas Z"Rotz