Die erste Woche des März 2019 im Rückblick
Wozu werden Gesetze gemacht? Um die Schwachen zu schützen. In der ersten Märzwoche 2019 machte das Bundesparlament genau das Gegenteil.
Invalidenversicherung im Nationalrat
Zuerst bewilligte der Nationalrat das "stufenlose" Rentensystem. Aus den bisher vier Rentenstufen werden nun 31 Stufen, das System wird also ziemlich kompliziert. Es profitieren Personen mit einem Invaliditätsgrad zwischen 41 und 59 Grad. Jene mit einem Invaliditätsgrad ab 60 bis 69 Grad verlieren bis zu 20 % ihrer Rente. Damit werden jene Personen benachteiligt, die aufgrund ihrer hohen Invalidität ohnehin keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, also die verletzlichsten. Die Ungleichheit zur Unfallversicherung, die bereits ab 20 % Invalidität eine lebenslange Rente bezahlt, bleibt bestehen. Wer aufgrund einer Krankheit behindert wird, erhält im Pensionsalter "nur" noch die Altersrente.
Anschliessend beschloss derselbe Rat die Senkung der Kinderrenten von 40 % auf 30 % der zugrundeliegenden Rente. Dies bedeutet für jene Versicherten mit einem Invaliditätsgrad ab 60 % zusätzlich 40 % Einbusse. In der Debatte wurde nicht berücksichtigt, dass alleine aufgrund der Veränderung der Grundrente für viele Versicherte auch eine Senkung der Kinderrente erfolgt. Erneut werden hier die Schwächsten bestraft.
In derselben Debatte erteilten die ParlamentarierInnen dem Bundesrat gegen dessen Willen das Recht, die INSOS PRA Ausbildung auf ein Jahr zu verkürzen. Das Recht auf Bildung wird damit massiv eingeschränkt. Menschen mit einer Lernbehinderung, mitunter die verletzlichsten unserer Gesellschaft, werden weiter diskriminiert. Ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz sinken weiter.
Ergänzungsleistungen sind ein Teil der 1. Säule. Sie helfen, Menschen in Notsituationen vor Armut zu schützen. Wer Vermögen hat, muss dieses innerhalb von zehn Jahren (im AHV-Alter) bzw. 15 Jahren (im IV-Alter) aufbrauchen. Trotzdem wurden Eintrittsschwellen geschaffen. Die Mitwirkungspflicht des nicht behinderten Ehegatten besteht schon länger, was in der politischen Debatte jedoch ausgeblendet wird.
Krankenkassenprämien steigen seit vielen Jahren kontinuierlich an. Obwohl längst nachgewiesen ist, dass eine Erhöhung der Mindestfranchise keinen Effekt auf diese Entwicklung hat, will der Nationalrat diese um 50 Franken erhöhen. Ein Automatismus soll weitere Erhöhungen erlauben. Arme Menschen werden sich nun überlegen, ob sie ihre Krankheit von einem Arzt behandeln lassen sollen oder nicht. Folgekrankheiten und mangelnde Prävention werden die Folge sein. Ausserdem sind chronisch Kranke von dieser Bestimmung besonders betroffen, haben sie doch gar keine Wahl.
Und dann der krönende Abschluss im Ständerat! Der Abzug für Krankenkassenprämien soll erhöht werden. Davon profitieren Steuerpflichtige mit einem hohen Einkommen wegen der Progression besonders stark. Arme betrifft diese Änderung nicht.
Komentar von Stepfan Hüsler
Diese Woche hat erneut gezeigt, dass wir von wohlsituierten, gutbürgerlichen, meist männlichen Parlamentariern regiert werden. Ich frage mich, ob diese Männer und Frauen überhaupt wissen, was es bedeutet, täglich nach Aktionen Ausschau zu halten, Lebensmittel am Samstag kurz vor 16 Uhr einzukaufen und dabei jeden Rappen zweimal umzudrehen? Haben die eine Ahnung, was es heisst, wenn eine Rechnung ins Haus flattert, die mit dem verfügbaren Einkommen nie und nimmer bezahlt werden kann? Wissen sie, wieviel Zeit und Energie das alles braucht, welcher Stress das ist?
Wir sind auch ziemlich beunruhigt, dass die Konzepte eines Marxisten aus dem 19. Jahrhundert auch im 21. Jahrhundert noch ihre Gültigkeit haben. Marx schrieb, dass es das Heer der Arbeitslosen und Armen brauche, um den anderen, noch im Arbeitsprozess verbliebenen, schlechte Arbeitsbedingungen aufzuzwingen. Er nannte sie "Reservearmee.
Hoffen wir, dass der Ständerat einige dieser Beschlüsse in der Sommersession aufheben wird.