Dossier: Leitbild

Dokumente

Jahns rollende Welt: Interview zum Leitbild

Frau im Rolli macht Notizen; daneben eine stehende Frau, die etwas erklärt

Was vermittelt dieses Bild für eine Aussage?

Frau im e-Rolli vor einer geöffneten VBL-Tür; Bus-Chauffeur stehend; autonomer Einstieg unmöglich

Weshalb ist die Türe nicht sichtbar?

Ein autonomer Einstieg scheint unmöglich zu sein!

Leidensgeschichte Luzerner «Behinderten»-Leitbild

Ende gut – alles gut?

Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat im Jahr 2010 das Gesundheits- und Sozialdepartement beauftragt, ein Leitbild für Menschen mit Behinderungen zu erarbeiten. Im Jahr 2013 startete die Erarbeitung des Leitbildes.

Das Leitbild soll zusammen mit Massnahmenvorschlägen als Hilfsmittel und Grundlage für den Kanton und die Gemeinden für die nächsten zehn Jahre dienen. Der Begriff Behinderung wird gemäss UN-Behindertenrechtskonvention definiert. Teilhabe soll als übergeordnete Richtschnur dienen.

Als einziger selber Betroffener war Stephan Hüsler, Teamleiter vom Behindertenforum, als Mitglied der Begleitgruppe an diesem Prozess beteiligt. Nach der 1. Sitzung der Begleitgruppe berichtete er: «Wir konnten einbringen, dass Leben mit Behinderung normal ist und jeden Menschen betreffen kann. Ich formulierte die Vision: Im Kanton Luzern leben alle Menschen inklusiv.»

Folgende Lebensbereiche sollen konkretisiert werden: Arbeit, Wohnen, Freizeit, Bildung, Finanzen, Mobilität, Kommunikation, Gesundheitsversorgung.

Im Juni 2013 fand ein erster Echoraum statt. Die von der Begleitgruppe erarbeiteten Handlungsfelder wurden in Gruppen diskutiert.

Unterbruch bis Juni 2016

Aus personellen Gründen in der kantonalen Verwaltung wurde das Projekt im Sommer 2013 vor seiner Fertigstellung pausiert. Die Arbeiten am Leitbild konnten erst im Juni 2016 wieder aufgenommen werden.

Die Dienststellenleiterin DISG, Edith Lang schrieb: «Es ist uns ein grosses Anliegen, ein kantonales Leitbild zu entwickeln, das von den im Behindertenbereich tätigen Personen sowie von den Betroffenen und ihren Angehörigen getragen wird. Das Leitbild soll anknüpfen an die UN-Behindertenrechtskonvention sowie prägnant und gut verständlich sein.»

Am 12. September fand ein Workshop der Begleitgruppe statt

Das neue Leitbild soll nicht mehr nur für den Kanton Gültigkeit haben - also eine Art kantonale Behindertenpolitik festlegen - sondern für alle wichtigen Akteure im Kanton Richtschnur sein. Edith Lang sprach davon, dass die beteiligten Organisationen unterschreiben könnten.

Die neue Projektorganisation sieht folgendermassen aus:

Das Projektteam entwickelte die Grundlagen. Es besteht aus René Stalder von der Hochschule Luzern Soziale Arbeit, John Hodel und Sara Martin.

Der Projektausschuss ist die strategische Ebene und besteht aus Charles Vincent, Alois Schmid (Verband Luzerner Gemeinden), Daniel Wicki (GSD) und Edith Lang (DISG).

Die Begleitgruppe bestand aus Alois Graf (LU Psychiatrie), Michael Ledergerber (Procap), Martina Bossard (Pro Infirmis), Dominik Hasler (Insieme), Thomas Lehmann (VLG), Rolf Mägli (SSBL), Thomas Kirchschläger (PH Luzern), Daniela Dittli (Dienststelle Volksschulbildung) und Stephan Hüsler (als einziger Direktbetroffener).

Stephan Hüsler berichtet: «Wir wurden in zwei Gruppen aufgeteilt und diskutierten während gut 2 Stunden über sämtliche 7 Handlungsfelder.»

Kritisiert wurde vorweg die Defizitorientierung und die Anlehnung an das 2012/13 erarbeitete Dokument. Das vorliegende Dokument sei immer noch zu lang.

Stephan konnte seine Eingaben zur Assistenz, zur Unterstützung Angehöriger machen. Er brachte auch ein, dass das Leitbild für ihn eine Art Vision sei: «Der Kanton Luzern lebt Inklusion. Alle Menschen partizipieren am Leben in diesem Kanton. Sie erhalten dafür - wo nötig - adäquate Unterstützung.»

Er hat eingebracht, dass der Begriff des Universal Design fehle, dass im Bereich Wohnen die SIA Norm 500 und für eine gute Mobilität die VSS 640 075 hindernisfreier öffentlicher Verkehrsraum massgeblich seien und dass der Kanton keine eigenen Normen erfinden müsse.

Ferner brachte er ein, dass in den Grundsätzen unbedingt festzuhalten sei, dass Frauen mit Behinderungen doppelt benachteiligt seien und sie deshalb besonders gut geschützt werden müssten.

Das Recht auf Arbeit ist auch für Menschen ohne Behinderungen nicht gewährleistet. Der Kanton Luzern kann sich jedoch dafür einsetzen, dass MmB bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Stephan schlug vor: «Der Kanton könnte für sich sogar festschreiben, dass bei gleicher Qualifikation Menschen mit Behinderungen der Vorzug zu geben sei.»

Neue Sichtweise gefordert!

Von Beginn weg hat die Beko (Behindertenkonferenz: IG der Selbsthilfe, Elternvereinigungen und Fachorganisationen; die Vereinigung cerebral Zentralschweiz ist auch Mitglied) vertreten durch Martina Bosshart (Geschäftsleiterin Pro Infirmis) versucht, den Prozess zu entschleunigen, um mehr Zeit für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Entwurf zu ermöglichen. Die kantonale Verwaltung wollte das neue Leitbild im ersten Halbjahr 2017 verabschiedet haben.

Zu Beginn eines Vernehmlassungs-Workshop am 17. November 2016, zu dem alle involvierten Projektgremien (Ausschuss, Begleitgruppe und Echoraum) eingeladen waren, konnten Martina Bosshart, Stephan Hüsler, Markus Wüest (Schw. Blindenverband) und ich diese Veranstaltung massgeblich prägen. ( à Input der Beko zum Leitbild erarbeitet und vorgetragen von Martina Bosshart).

Beko LU,NW & OW Mitglieder

Mein Votum begann ich mit den Worten: «Wir brauchen kein Leitbild für Menschen mit Behinderungen sondern eine Vision, welche Menschen mit Behinderungen zu Beteiligten macht! Wir sind mit dem Prozess der Entstehung dieses Leidbildes nicht einverstanden. Menschen mit Behinderungen wurden und werden auch heute nicht wirklich einbezogen. ‘Behinderung’ ist derart vielfältig, dass es mehr als nur fünf behinderte Menschen braucht, die daran mitdenken. …».

«Ich sass als einziger Mensch mit einer Behinderung in der Begleitgruppe!»

Stephan Hüsler berichtete, dass er als einziger Mensch mit einer Behinderung in der Begleitgruppe sitze. «Michael Ledergerber ist immerhin noch als Vater von zwei behinderten Kindern dabei. Das zeigt ja, wie die BRK umgesetzt werden soll.»

Wichtig bei der Umsetzung der BRK ist ihm dieser Paradigmenwechsel. «Wer die Menschenrechte einschränken will, muss dies begründen. Massnahmen müssen angemessen und zweckmässig sein. Grundsätzlich ist von der vollen Teilhabe auszugehen. Das muss unser Ziel sein. Das kostet möglicherweise etwas. Vielleicht kann aber andernorts eingespart werden.»

Nach dem Workshop flossen diese Rückmeldungen in einen überarbeiteten Leitbildentwurf ein. Weiter fiel der Entscheid, neben den bereits involvierten Projektgremien, weitere bestehende Gremien im Behindertenbereich zu konsultieren und weitere kantonale Stellen in die Begleitgruppe aufzunehmen, um das Leitbild breiter abzustützen.

Folgende Gremien haben in den vergangenen Monaten den überarbeiteten Leitbildentwurf ausführlich diskutiert: Abteilung Soziale Einrichtungen der DISG, Begleitgruppe zum Leitbild, Beko, Interessengemeinschaft der Trägerschaften privater sozialer Einrichtungen IGT, Kommission für Soziale Einrichtungen KOSEG, Kommission für Gesellschaftsfragen, Verband Luzerner Gemeinden VLG - Bereich Gesundheit und Soziales, Vertretungen der drei Landeskirchen.

Edith Lang schreibt: «Ein Abgleich des Leitbildes mit der von Pro Infirmis in Auftrag gegebenen Studie ‘Teilhabe von Menschen mit einer Beeinträchtigung’ hat gezeigt, dass deren Inhalte im Leitbild gut abgedeckt sind.

Es liegt nun ein Leitbildentwurf vor, der ein ressourcenorientiertes Verständnis vom Leben mit Behinderungen transportiert: U.a. Anerkennung der Vielfalt von Menschen mit Behinderungen, die Achtung der individuellen Autonomie sowie das Recht auf Freiheit, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Schutz.

Die aktualisierte Version ist nun zur Konsultation bei Herrn Regierungsrat Guido Graf, Vorsteher des Gesundheits- und Sozialdepartementes, freigegeben.»

Eine bereinigte Version soll uns im Herbst zugestellt werden.

Ebenfalls habe ich die Möglichkeit mit zwei selber Betroffenen Regierungsrat Guido Graf zu treffen, um ihm mit unseren Erfahrungen Stoff für sein Editorial zu liefern.

Das Leitbild soll anfangs 2018 dem Gesamtregierungsrat vorgelegt werden. Gleichzeitig sollen Massnahmen zur Umsetzung vorschlagen werden.

Es würde mich freuen, wenn durch das Leitbild für Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung und wirkliche Alternativen zur Auswahl stehen würden.

Thomas Z’Rotz,
Gründungsmitglied Behindertenforum Zentralschweiz bfzs*

* das bfzs hat mit seiner offenen Vernehmlassung vom 17.März 2017 den Prozess des Leitbilds wesentlich beeinflusst.